Die vom Himmel Gefallene

Lukas Rapp
5 min readApr 1, 2020

“Andere Staatsangehörige mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis für Deutschland können ebenfalls im Rahmen der Kapazitäten berücksichtigt werden.” Als Qian Sun den vierten Punkt der E-Mail des deutschen Generalkonsulats von Bengaluru, Indien, las, musste sie erstmal schlucken. Unsicherheit machte sich in ihr breit und dieses Gefühl begleitete sie bis in den Schlaf.

Qian lebt seit fast zehn Jahren in Deutschland. Sie ist eine preisgekrönte Journalistin chinesischer Herkunft und tut sich schwer ihre chinesische Staatsbürgerschaft für eine Deutsche zu tauschen. “China erlaubt keine doppelte Staatsbürgerschaft, und ich würde es hassen, jedes Mal ein Visum beantragen zu müssen, wenn ich zurückkehre, um meine Familie zu besuchen”, erzählt die 32 Jährige.

Qian kam für eine Yogalehrerausbildung nach Indien, verschob diese aber wegen des Corona-Ausbruchs in China um einen Monat und blieb in Delhi. Als Freelance Journalistin ist es nicht verwunderlich, dass sie die Möglichkeit einer Berichterstattung ergriff, noch zudem sie als Chinesin an genauere Informationen herankam und als Expertin fungieren konnte. Sie versuchte nicht nur aufzuklären, sondern machte auch auf rassistischen Entwicklungen und Stereotypen aufmerksam, die sich langsam im Westen während des Ausbruchs von Covid 19 breit machten.

Gerade in der Anfangszeit gab es diverse Berichte, wie Chinesen die Unterkunft in Hostels verwehrt wurde. Oder wie asiatisch aussehenden Menschen Dinge vorgeworfen wurde, mit denen sie gar nichts zu tun hatten. Qian arbeitete für “Health Analytics Asia”, einer Onlineplattform zur Überprüfung von Fakten und für Datenjournalismus für den öffentlichen Gesundheitssektor. Qian wollte mit dem Yogalehrertraining in Indien einen Ausgleich zu ihrem stressigen Alltag finden, einfach mal abschalten, doch musste sie dann bis Ende Februar wieder voll aufdrehen. “Erst gegen Ende Februar konnte ich mich ein wenig entspannen, als es in China etwas ruhiger war und der Rest der Welt ‘noch nicht aufgeholt hatte’”, erinnert sie sich.

Mitte März wurde es auch in anderen Teilen der Erde ernst. Also beschloss Qian zurück nach Deutschland zu fliegen, das war am 15. März. Ihr Flug war für den 22. geplant, also wollte sie noch ein paar Tage warten und diesen dann antreten. Aufgrund des anhaltenden Ausbruchs und der Erklärung einer Pandemie wurde ihr Flug am 22. März zurück nach Deutschland gestrichen, weil die polnische Regierung ein Landeverbot für Flüge auf ihrem Boden verhängt hatte. Obwohl es nur ein Transit in Warschau gewesen wäre, gab es keine Möglichkeit. Kurz darauf Verbot Indien alle kommerziellen Flüge, auch ausgehende Flüge und erklärte eine totale Ausgangssperre des Landes, mit nur vier Stunden Vorankündigung, am 24. März.

“Du bist deutscher als die meisten Deutsche”, ist ein Satz, den Freunde von Qian oft zu ihr sagen und den wahrscheinlich viele Menschen mit anderer Staatsbürgerschaft hören, wenn sie einmal länger in Deutschland leben. Abendessen ist um 18 Uhr, Mittagessen um Punkt 12.

Qian zahlt ihre Steuern in das deutsche Sozialsystem ein; sie liebt Würstchen und alle Arten von Brot. Sie isst sogar Sauerkraut, was eher ein Stereotyp ist, da viele Deutsche es nicht einmal mögen. Sie besitzt die höchste Form einer Aufenthaltserlaubnis, die man ohne Staatsbürgerschaft haben kann und die es ihr erlaubt, sich im Grunde ohne Einschränkungen aufzuhalten. Wo beginnen und wo enden dann ihre Rechte und Pflichten?

In dieser Ausnahmesituation bleibt sie Chinesin, zumindest für den Deutschen Staat. Die Antwort auf die E-Mail fühlt sich an, als würde sie als Bürgerin zweiter Klasse behandelt.

Die Pressestelle des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland verweist auf die Erklärung: “Das Rückholprogramm richtet sich an Deutsche und ihre Familienangehörigen in besonders von Reiseeinschränkungen betroffenen Regionen. Wir bemühen wir uns jedoch, im Rahmen der Kapazitäten auch für EU-Ausländer und Inhaber eines Aufenthaltstitels mit ständigem Wohnsitz in Deutschland Lösungen zu finden.” Bemühen ist dennoch keine Zusicherung.

Es gibt keine rechtliche Grundlage, die besagt, wie sich die deutsche Regierung in dieser Ausnahmesituation zu verhalten hat, wenn eine ausländische Staatsbürgerin, welche eine Niederlassungserlaubnis für Deutschland hat, in einem Drittland in der Klemme sitzt. Die Pressestelle des Auswärtigen Amtes betont aber, dass es “ein klares Bekenntnis, auch für diese Personengruppe Lösungen finden zu wollen” gebe. Trotz dieses Zugeständnisses weißt das Auswärtige Amt darauf hin, “die konsularische Fürsorge für chinesische Staatsangehörige nach dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen (WÜK) grundsätzlich der Volksrepublik China obliegt.” Doch was bedeutet dies nun für Qian?

Qian kann nur den Kopf schütteln: “Ich habe es nicht geschafft mit der Chinesischen Regierung in Kontakt zu treten und glaube auch nicht, dass es ein Rückholprogramm gibt”. Die Regierung hat Anfang März Maßnahmen ergriffen, um chinesische Staatsbürger aus dem Iran zurückzuholen. Abgesehen von diesen Maßnahmen werden die Menschen alleine gelassen. Die Regierung von China geht sogar noch einen Schritt weiter. Seit dem 28. März dürfen selbst Ausländer, die ein Visum oder eine Aufenthaltsgenehmigung besitzen, nicht mehr ins Land einreisen. Fast alle Flüge ab dem 29. März wurden gestrichen. Es gibt einmal die Woche einen Flug, welcher circa das zehnfache der üblichen Ticketpreise kostet und um überhaupt die Möglichkeit zu haben, dieses Ticket zu kaufen, muss sich mit einem wichtigen Grund bewerben.

Qian streckt in einer Misere, zwischen ihrem Heimatland und ihrer Wahlheimat und sie war froh, dass die deutsche Regierung recht schnell auf sie zugegangen ist, während es ihr nicht gelang, mit den chinesischen Behörden in Kontakt zu treten. Auch wenn es den Anschein haben mag, dass die deutsche Regierung nicht die volle Verantwortung übernimmt, ist sie doch bereit, zu helfen.

Dennoch wird Qian am Ende mit einem mulmigen Gefühl nach Deutschland zurückkehren. Auf der einen Seite, ihr Heimatland, welches sie in dieser Situation im Regen hat stehen lassen und auf der anderen Seite ihre neue Heimat, die sie zwar unterstützt, ihr aber deutlich zu verstehen gibt, dass sie nur adoptiert ist. Ihr Flug, welcher ursprünglich für den 28. März geplant war, wurde noch einmal verschoben, dennoch weiß Qian jetzt sicher, dass sie in den nächsten Tagen zurück nach Deutschland kehren wird.

Das Corona Virus hat weltweit für Ausnahmesituationen gesorgt, Qian ist in einer dieser geraten und mit einem blauen Auge davon gekommen. Trotz unzähliger Kontakte, hatte sie keinen Einfluss auf den Ausgang und konnte nur warten. Rechtlich befindet sie sich in einer Grauzone, menschlich in einem Niemandsland. Viele andere Menschen werden sich in diesen Zeiten ebenfalls fragen, wo deren Rechte als Mensch mit einer Aufenthaltserlaubnis anfangen und wo diese aufhören und welche Regierung sich dann um sie kümmert.

In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Weltbevölkerung immer enger zusammen gewachsen und in Krisen wie diesen sieht man die Schattenseiten der Globalisierung und deren Limitierungen noch deutlicher. Viele Menschen müssen sich an eine Ausgangssperre während der Covid-19 Pandemie halten und die Zeit die sie mit sich verbringen, werden viele Menschen nutzen, um über die aktuellen Geschehnisse nachzudenken.

Gerade die Generation X, Y und Z die besonders von der Digitalisierung betroffen sind und oft den Drang verspüren Arbeit in anderen Ländern zu finden, müssen darüber nachdenken, was Heimat für sie wirklich bedeutet, welche Rechte und Pflichten Sie wahrnehmen möchten und auch welche Verantwortung vor ihnen steht. Neben diesen melancholisch-emotionalen Fragen, gibt es noch diese, die von Autoritäten gestellt werden und sich mit Grenzen, der (Un)Sicherheit des Systems und der Globalisierung beschäftigen.

Qian wird dies sicherlich tun und auch die Frage der Staatsbürgerschaft wird sich noch einige Male in ihren Gedanken verheddern.

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